Nach Außenprüfung: Wie können bestandskräftige Bescheide korrigiert werden?
Die Art und Weise, in der der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt hat, ist eine Tatsache. Dies gilt im Fall der Einnahmenüberschussrechnung nicht nur für Aufzeichnungen über den Wareneingang, sondern ebenso für sonstige Aufzeichnungen und die übrige Belegsammlung.
Hintergrund
Der Kläger betreibt als Einzelunternehmer einen Einkaufsladen. Das Warensortiment umfasst vorwiegend Bau- und Heimwerkerbedarf, ebenso Dekoartikel, Schreibwaren, Zeitungen, Lotterielose, Tabak sowie diverse andere Haushaltswaren. Außerdem kauft und verkauft bzw. vermittelt der Kläger Edelmetall und bietet verschiedene Dienstleistungen an. Seinen Gewinn ermittelt er durch Einnahmenüberschussrechnung.
Der Kläger verwendet eine elektronische Kasse, die auf den täglich ausgedruckten Z-Bons insgesamt 5 Warengruppen (Verkauf 19 %, Verkauf 7 %, Versandhandel, Wäscherei, Lotto) ausweist. Eine weitere Aufgliederung oder Aufzeichnung der Umsätze nach den einzelnen Waren und Dienstleistungen nimmt der Kläger nicht vor. Auf den Z-Bons hat der Kläger gelegentlich handschriftliche Korrekturen vorgenommen.
Außerdem führt der Kläger tägliche Kassenberichte.
Überwiegend entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht den Zahlenwerten auf den Z Bons. Soweit der Kläger handschriftliche Korrekturen auf den Z Bons vorgenommen hat, entsprachen die Eintragungen im Kassenbericht teils den korrigierten Zahlen auf den Z Bons, teils wurden die Korrekturen nicht in den Kassenbericht übernommen.
Das Finanzamt hatte den Kläger für die Streitjahre zunächst erklärungsgemäß und ohne Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer veranlagt.
Nach einer Außenprüfung kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass der Kläger seinen Aufzeichnungspflichten nicht hinreichend nachgekommen sei, weil er nicht sämtliche Geschäftsvorfälle nach der zeitlichen Reihenfolge und mit ihrem richtigen Inhalt festgehalten habe. Es sei nicht erkennbar, ob der Kläger Umsätze zu verschiedenen Steuersätzen zutreffend getrennt und auf die Umsätze den zutreffenden Steuersatz angewendet habe. Zudem müsse ein grundsätzlich nicht zur Führung eines Kassenbuchs verpflichteter Steuerpflichtiger, der – wie der Kläger – ein solches freiwillig führe, die gesetzlichen Anforderungen an ein Kassenbuch erfüllen. Dem genüge das 2013 und 2014 in Form einer nicht gegen nachträgliche Änderungen geschützten Excel-Tabelle erstellte Kassenbuch nicht. Auch könne eine Kassensturzfähigkeit im Nachhinein nicht festgestellt werden. Ferner seien die Geschäftsvorfälle, die den handschriftlichen Korrekturen auf den Z Bons zugrunde lägen, mangels Eigenbelegen nicht nachvollziehbar.
Eine Geldverkehrsrechnung ergab keine ungeklärten Einnahmefehlbeträge.
Der Prüfer vertrat die Auffassung, dass wegen erheblicher Kassenführungsmängel eine Hinzuschätzung durch Sicherheitszuschlag i. H. v. 10 % der Barerlöse zu erfolgen habe.
Das Finanzamt änderte dementsprechend die Bescheide über Einkommen- und Umsatzsteuer sowie über den Gewerbesteuermessbetrag für 2013 bis 2015.
Die nach der erfolglosen Durchführung des Einspruchsverfahrens erhobene Klage hatte teilweise Erfolg. Das FG machte die Erhöhung der Betriebseinnahmen für die Einkommensteuer und die Gewerbesteuermessbeträge für 2013 und 2014 vollständig rückgängig und brachte im Übrigen nur noch einen Sicherheitszuschlag von 5 % der Betriebseinnahmen beziehungsweise Umsätze in Ansatz.
Entscheidung
Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Änderung bestandskräftiger Steuerbescheide im Nachgang zu einer Außenprüfung nur dann zulässig ist, wenn sicher feststehe, dass der Steuerpflichtige Betriebseinnahmen nicht aufgezeichnet habe. Der Senat könne auf der Grundlage der vom FG getroffenen Feststellungen aber nicht entscheiden, ob die übrigen Voraussetzungen für eine Änderung des bestandskräftigen Steuerbescheids erfüllt seien.
Rechtfertigender Grund für die Durchbrechung der Bestandskraft sei nicht die Unrichtigkeit der Steuerfestsetzung, sondern der Umstand, dass das Finanzamt bei seiner Entscheidung von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen sei.
Tatsache sei alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein könne, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art.
Die Art und Weise, in der der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt habe, sei eine Tatsache. Dies gelte für Aufzeichnungen über den Wareneingang ebenso wie für sonstige Aufzeichnungen oder die übrige Belegsammlung eines Steuerpflichtigen.
Hieraus folge für den Streitfall, dass namentlich die Art, in der der Kläger seine Bareinnahmen festgehalten habe, der Inhalt der Aufzeichnungen sowie das Vorhandensein der Z Bons und deren Inhalt als Tatsachen anzusehen seien. Ob sich diese Tatsachen auf die Höhe der Steuer auswirkten, sei bei der Prüfung des Merkmals der Rechtserheblichkeit der Tatsache zu untersuchen.
Weitere Voraussetzung für die Änderungsmöglichkeit sei das nachträgliche Bekanntwerden der Tatsache. Sie müsse schon bei Erlass des ursprünglichen Bescheids vorhanden gewesen sein, sodass sie vom Finanzamt bei umfassender Kenntnis des Sachverhalts hätte berücksichtigt werden können.
Das Finanzamt habe die Kläger zunächst erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt. Erst durch die im Jahr 2017 durchgeführte Außenprüfung – und somit nachträglich – habe es von den Kassenaufzeichnungen des Klägers in den Streitjahren sowie von den bei ihm dazu vorhandenen Belegen (Z Bons) und ihrem Inhalt Kenntnis erlangt.
Die Änderung eines Steuerbescheids setze außerdem die Rechtserheblichkeit der nachträglich bekanntgewordenen Tatsache und die Ursächlichkeit der Unkenntnis des Finanzamts von dieser Tatsache für die ursprüngliche Veranlagung voraus.
Die Art und Weise der Aufzeichnung der Bareinnahmen sowie der Inhalt von vorhandenen Belegen (bzw. der Umstand ihres Fehlens) wären im Streitfall rechtserheblich, wenn das Finanzamt bei vollständiger Kenntnis dieser Tatsachen bereits bei der Veranlagung der Kläger zur Einkommensteuer 2013 und 2014 zur Schätzung befugt gewesen wäre und deswegen eine höhere Steuer festgesetzt hätte. Ob die Voraussetzungen für eine Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen des Klägers in den Streitjahren tatsächlich vorliegen würden, habe das FG bislang allerdings nicht festgestellt.
Sowohl bei Verletzung der Aufbewahrungspflicht als auch bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht sei das Finanzamt dem Grunde nach zur Schätzung berechtigt.
Grundsätzlich verdiene eine Einnahmenüberschussrechnung nur bei Vorlage geordneter und vollständiger Belege Vertrauen und könne für sich die Vermutung der Richtigkeit in Anspruch nehmen. Der Steuerpflichtige trage das Risiko, dass das Finanzamt oder das FG die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen könnten und deshalb die Voraussetzungen für eine Schätzung erfüllt seien.
Zur (Hinzu )Schätzung berechtigten auch formelle Mängel der Aufzeichnungen über Bareinnahmen, die zwar keinen sicheren Schluss auf eine Einnahmenverkürzung zuließen, aber dazu führten, dass keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen bestehe, ohne dass eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels möglich wäre.
Aufgrund der vom FG bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen könne der Senat nicht entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Hinzuschätzung von Betriebseinnahmen und damit für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2013 und 2014 vorliegen würden. Die Sache sei daher zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das FG zurückzuverweisen.